N. ruft zurück

Ob N. sich noch erinnert …  Nein? Na, dann will sie ihm mal auf die Sprünge helfen. Letztes Telefonat vor nun sechs Monaten und drei Tagen. Sie hat sich eine Gesprächsnotiz gemacht: N. nicht wieder anrufen!  N. meldet sich, falls Auftrittsmöglichkeit. Nun: N. scheint sie vergessen zu haben. Also meldet sie sich. Sie ist die mit der Tochter. Na – ist denn der Groschen jetzt gefallen? Sie sagt nur: Emma. Und dann sagt sie noch: Ba–rock–mu–sik. Das En-sem-ble. Das Ensemble für Ba–rock–mu–sik. Ihre Tochter geigt. Studium in Detmold bei Herrn Professor Sowiesosowieso.  Der geigt auch daundda. Emma – die Geigerin. Ja, und ich bin doch die Mutter. Sie erinnern sich! Die Tochter hat keine Zeit, sich um Engagements zu kümmern. Und da hat die Mutter, Realschulleiterin im Ruhestand, die Aufgabe übernommen, den jungen Leuten ein bisschen zu helfen. Und was sie macht, macht sie gewissenhaft. Davon kann N. sich ja jetzt überzeugen. Gut, sie ist ein paar Tage über den Termin gerutscht, aber das wird ja wohl nicht den Ausschlag geben. Sie hat gestern schon dreimal angerufen und mit einer Dame gesprochen. Ist das N’s Frau? Sie will ja nichts sagen, aber wenn das seine Frau ist, dann weiß die schon wenig über den Gattenverbleib. Also ihr Mann ist ja schon seit zwanzig Jahren tot. Er war auch Lehrer. Er war dem Stress nicht gewachsen – da ist sie sich sicher. Fiel einfach um und war tot. Immerhin: Gelitten hat er nicht. Geht über den Pausenhof – fällt um und ist tot.

Aber es geht ja um Konzerte. Jetzt erinnert N. sich doch wieder, oder?!!! Also noch mal ganz kurz: Sie hat von der Reihe erfahren, der Konzertreihe. Sie hat sich den Namen gar nicht aufnotiert, aber es war etwas Witziges, Geistreiches. Das hat sie im Internet gefunden. Tja, da staunt N. jetzt aber, dass ein altes Mädchen wie sie es noch mit der Technik aufnimmt. So viel ist sicher: Ohne Technik ist man heute aufgeschmissen. Rien ne va plus. Das hat sie längst begriffen. Zurück zum Konzertwesen. Ob N. denn ein bisschen Zeit hat, einige Details zu besprechen. Sie hört da ja im Hintergrund eine Kinderstimme. Da hat N’s Frau sich wohl mal einen schönen Tag gemacht und ihn mit dem Kleinen allein gelassen. Der Kleinen, sagt N. Naja, sagt sie, das kann man ja am Telefon nicht so genau hören. Sie schätzt das Kind einmal auf irgendwo zwischen zwei und fünf. Ja – so was kann sie. Sie hat selten falsch gelegen. Ein Einzelkind? Na – das kennt sie von der Emma. Die war ja irgendwann nur noch in die Geige verliebt. Männer waren nie interessant. Immer die Karriere im Kopf. Von einem Professor zum nächsten hat man sie gefahren – keine Kosten und Mühen gescheut. Und es hat sich ja auch gelohnt. Emma und das Ensemble – eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Schade, dass der Vater das nicht mehr erlebt hat.

Sie hat sich aufnotiert: Nicht anrufen. N. meldet sich. Da N. sich nicht gemeldet hat, ruft sie an. Vielleicht mal den neuen Fleier schicken. Es gibt drei neue Programme. Dass N. gerade unterrichtet, stört sie nicht. Sie ist ja schnell fertig. Kurz noch mal die Gesprächsnotiz kontrollieren. Da steht es. Ganz klar: Nicht wieder anrufen. N. ruft zurück. N. hat nicht zurückgerufen. Da meldet sie sich also noch mal. Das wäre ja sonst zu einfach. N. vergisst sie und merkt es nicht. Es könnte ihm ja leidtun. Und er merkt es nicht.

Mittlerweile hat sie ja fast alle Konzertreihen in Deutschland ausfindig gemacht. (Da kann es dann nicht mehr lange dauern, bis einer der Veranstalter zum Meuchelmörder wird, denkt N.) Wie gesagt: Einer muss sich ja um die töchterliche Karriere kümmern. Da hat es halt die Mutti übernommen. Die Kinder sind ja ständig auf Reisen. Vielleicht kann man ja ein Sonderangebot verhandeln, wenn N. sich in der Lage sieht, im näheren Umfeld das eine oder andere Konzert mit einzufädeln. Das würde sich bei der Gagenforderung niederschlagen. Hat N. die Demozedeh gehört? Na, dann weiß er ja, dass hier nicht von einem Allerweltsensemble die Rede ist. (Altweiberensemble, denkt N.)

Sie will sich ja auch nur kurz in Erinnerung bringen. N. nicht mehr anrufen, hat sie sich vor einem halben Jahr notiert. Aber ist darauf Verlass? Nein. Kann doch sein, N. hat den Zettel mit der Mutternummer verlegt. (Es hat nie einen Zettel gegeben!) N. nicht anrufen. Jetzt also meldet sie sich. Sieht N. denn eine Möglichkeit, die Tochter unterzubringen oder anderweitig zu empfehlen?

N. erwähnt den Unterricht. er hat zu tun. Richtig, fast hätte sie das vergessen. Na, der Schüler wird’s verschmerzen, oder? (Der Schüler vielleicht.) Sie ist ja nun auch gleich fertig. Nur noch die Frage nach den Aussichten für ein Engagement. Ist die nächste Saison schon abgeplant? Ja, das Geld ist knapp. Davon kann sie ein Lied singen. Das sagen sie alle. Die Gelder werden knapp. Darauf kann man natürlich reagieren: Ein Paket mit ein paar Veranstaltern im regionalen Umfeld. Vielleicht hat N. ein paar Nummern für sie. (N. würde nicht einmal die Nummer seines ärgsten Feindes weitergeben. N. notiert sich die Nummer. Wenn er die künftig im Display sieht, wird er den Stecker aus der Wand reißen.)

Sie möchte sich noch eine Gesprächsnotiz machen. Wird N. anrufen? Gut, in sechs Monaten. Es ist immer wieder schön, mit N. zu sprechen. N. soll seine Frau grüßen und künftig öfter mal sagen, was er so treibt. Die Frau ist ungenügend informiert. Oder ist das Absicht? Sie wird sich eine Gesprächsnotiz machen. N. muss die Frau informieren. N. meldet sich. In einem halben Jahr. N. nicht anrufen. N. ruft zurück.