Bestatten

Jemand muss Josef anrufen. Josef wird sich um alles kümmern - Karten, Träger, Anzeigen: alles eben. Josef ist noch unterwegs. Ein tragischer Fall: Vierzig. Aufgemacht und gleich wieder zugemacht. Und zwei Wochen später war schon alles aus. Familienvater. Drei Kinder. Urnenbestattung.

Heilige Maria, Mutter Gottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Erste Anrufe gehen ein. Die Stadt ist klein, und der Tod ist schnell. Oma gibt Auskunft. Ja - um elf war sie noch da. Da hat er kaum reagiert. Immer das Foto gestreichelt - ihr Foto. Dann ist sie zum Essen gegangen. Kommt zurück, und da liegt er schon. Gut, dass er nicht gelitten hat. Wir warten auf Josef. Aber Josef ist noch unterwegs. Ein tragischer Fall. Aufgemacht - zugemacht. Vierzig. Familienvater. Urnenbestattung. Da ist Opa doch noch gut weggekommen. Seit drei Wochen kein Essen. Seit vier Tagen nichts mehr getrunken. Alle waren gegen eine Magensonde. Auch die Kinder.

Josef ist da und hat den Koffer dabei. Will Josef einen Kaffee? Ein Stückchen Kirschboden? Oma hatte ja Besuch erwartet. Soll man den Kuchen jetzt verkommen lassen? Josef nimmt gern ein Stückchen. Er kommt gerade von einem sehr tragischen Fall. Aufgemacht - zugemacht. Familienvater. Vierzig. Urnenbestattung. Da gab es keinen Kaffee.

Wie alt war denn der Opa? Sechsundachtzig.  Na, das ist doch nun wirklich ein schönes Alter. Und wenn einer nicht mehr will, muss man ihn auch gehen lassen. Loslassen gehört dazu.

Eingesargt wird erst am Abend, wenn im Pflegeheim niemand mehr auf den Gängen ist. So was wirkt sich ja eher schlecht auf den Lebensmut der alten Leutchen aus. Und gute Werbung für das Heim ist es auch nicht gerade. Josef muss es wissen. Vier Abgänge im Heim. In nur drei Tagen. Da wartet man besser, bis es ruhig ist auf den Gängen.

Gut, dass ein Priester in der Familie ist. Das macht alles gleich viel persönlicher. Und dass der auch gleich Vorschläge machen kann für einen passenden Spruch - sehr gut ist das. Da kann Josef sein Arsenal geschlossen halten.

Während der Jüngste die Sprüche anschaut, können Oma und Tochter vielleicht schon mal einen Blick auf die Karten werfen. Wie viel sollen denn verschickt werden?

Kann Josef - der Oma ist es ein bisschen peinlich - aber kann Josef sich vielleicht beim Einsargen um den offenen Mund kümmern?

Vielleicht auch schon mal kümmern um den Text der Anzeige. Wer und was soll drauf? Dass Opa das Verdienstkreuz hatte, möchte die Oma schon erwähnt wissen. Die Tochter ist anderer Ansicht. Aber schließlich ist  Opas Beerdigung  Omas Beerdigung.

Die Kinder mit den Familien sollen erwähnt werden. Und der Älteste hat einen Doktortitel. Was ist das denn für ein Doktor. Josef findet, das bedarf keiner Erwähnung. Doktor ist Doktor. Das machen die anderen auch nicht anders.

Wie viel Gedenkzettel werden gebraucht? Josef hat da eine Faustformel. Zahl der geladenen Gäste plus fünfundsiebzig Prozent. Das hat noch immer gereicht. Da bleiben auch noch Zettel für die Danksagungen. Vielleicht dafür auch gleich Karten und Sprüche aussuchen. Wie viele Leute werden zum Kaffee kommen? Das werden so an die fünfzig sein.

Der Pastor ist da. Das geht aber schnell. Oma freut sich, dass es so schnell geht. Die Beerdigungen sind immer um 10.30 Uhr. Das ist eine Sache der Organisation. Der Neffe in seiner kleinen Gemeinde kann das natürlich anders handhaben. Kuchen? Kaffee? Eigentlich nicht - andererseits: Schlücksken und Stücksken. Man hat ja sicherlich von dieser anderen Sache gehört? Aufgemacht - zugemacht. Vierzig. Familienvater. Urnenbestattung. Ein Fall für den protestantischen Kollegen, mit dem sich der Pastor bestens versteht. Man spielt zusammen Doppelkopf. Sowieso: Mit der Seelsorge geht es bergab. Wenn der Kaplan geht, wird niemand nachrücken. Gestrichen. Kein Nachwuchs.

Josef fragt nach den Gedenkzetteln. Die Tochter spricht im Interesse der Gesamtkinderschaft: Bitte keine betenden Hände. Alles, nur das nicht. Opa hat doch die schwarze Madonna verehrt. Josef hat eine druckbare Madonna von ähnlicher Statur. Vierzig Cent pro Zettel (einseitig) plus eine Pauschale von fünfunddreißig Euro. Soll ein Bild des Toten aufgedruckt werden, empfiehlt sich der Gedenkzettel im Leporello-Design. Das wusste Josef ja lange nicht, dass Leporello was mit Mozart zu tun hat. Sterben macht klug.

Wie ist es mit den Trägern? Nachbarn gibt es da ja auch eher nicht. Josef hat für solche Fälle sechs Rentner (rüstig!), die allerdings in bar zu bezahlen wären. Zwanzig Euro sind ja nun wirklich nicht viel. Zum Kaffee werden die nicht mit eingeladen. Die Gaststätte hat übrigens nichts mehr frei. Wenn Josef allerdings etwas anmerken darf. Er kennt da eine andere Gaststätte - der Preis, er kann das natürlich nicht auf den Cent genau sagen - dürfte annähernd identisch sein. Von der als erste Alternative angedachten Gaststätte muss er wegen schlechter Erfahrungen bei der Abwicklung abraten. 

War da nicht noch ein Sterbefall in der Verwandtschaft? Entfernt. Weiß Josef etwas über den Beerdigungstermin? Josef hat noch nichts gehört. Aber die Abgängige war doch sowieso nicht von hier. Eben drum. Man stelle sich zwei Beerdigungen vor - an verschiedenen Orten zur selben Zeit. Die Folge: Ein Familienschisma. Das wäre ja irgendwie tragisch.

Die Oma soll noch mal ans Telefon. Ja, sie ist kurz zuvor noch da gewesen. Da hat er ihr Foto gestreichelt und dauernd etwas zu sagen versucht. Sie konnte es nicht verstehen. Und jetzt macht sie sich natürlich Vorwürfe, dass sie ihn ins Heim gegeben hat. Aber sie konnte doch nicht anders. Jedenfalls war sie noch da und ist dann nur kurz zum Essen. Kommt zurück - da ist er schon tot. Danke. Sie regelt gerade das Nötige. Josef ist da. Der kommt von einem Fall: aufgemacht - zugemacht. Familienvater. Vierzig. Grausam. Drei Kinder. Verbrennung erwünscht.

Josef telefoniert mit denen vom Friedhof. Das Handy streikt. Funkloch. Dann schreit er auf dem Flur. Die finden das Grab nicht. Da steht ein Findling drauf. Natürlich muss der weg. Wie soll denn sonst der Bagger?!! ... Josef entschuldigt sich, dass er laut werden musste. Aber es ist doch wirklich nicht zu fassen, wie blöd sich manche Leute anstellen können.

Telefon für die Oma. Ja, sie war noch bis kurz vorher da. Dann ist sie zum Essen. Kommt zurück und denkt noch: Der Opa schläft aber ruhig. Da fällt ihr die Atemlosigkeit auf. Sie fasst es nicht. Ja, Josef ist schon da. Der kommt gerade von einem Vierzigjährigen. Aufgemacht - zugemacht. Und drei Wochen später: Aus. Familienvater. Urnenbestattung. Evangelisch. Die arme Frau.

Werden denn die Enkel die Fürbitten lesen? Das wäre ja schön. Und vielleicht lesen auch die Kinder was vor. Was soll denn auf der Schleife stehen?

Es ist doch eigenartig: Am Morgen hat die Oma noch in der Zeitung gelesen, dass derzeit auf dem Friedhof eine Feuerwanzenplage herrscht. Wen interessiert denn das, hat sie sich gedacht.

Der Älteste hat angerufen. Er muss am Flugplatz abgeholt werden. Der Sarg soll offen bleiben. Rotz und Wasser hat er geheult mit seinen fast fünfzig Jahren.

Muss eigentlich dem Opa noch jemand die Haare schneiden? Josef wird das entscheiden. Aber erst mal wird er sich um den Mund kümmern.

Die Enkelin will den Opa noch einmal sehen. Sie möchte bitte hinfliegen. Der Opa ist doch, hat Papa gesagt, im Himmel. Opa ist bei Gott im Himmel. Aber Gott ist doch auch in der Kirche. Hat Gott denn ein Auto? Der Pastor muss noch zu einem Taufgespräch.